Das Netzwerk ff politik ausländer No. 31 / 2009
Während sich die Politik vor dem Thema Einwanderung
drückt, werden die Ausländer nun
selbst aktiv. Ein Migranten-Netzwerk arbeitet
an einem eigenen Integrationsgesetz.
Seit Amir Sadeghi denken kann,
hat er einen Traum von Freiheit.
In seinen Erzählungen kommt
dieses Wort ständig vor, immer
wieder muss er es laut aussprechen, wohl
um dessen wahren Sinn zu verstehen.
Amir ist Iraner. Sein Land nennt er
„diktatorisch“ und was sich derzeit dort
abspielt „eine schwierige Situation“. Als
er seine Heimat verließ, war er 19. Er
ging nach Bologna, um zu studieren. Als
er dort das erste Mal die vielen Zeitungen
sah, habe ihn „die grenzenlose“ Freiheit
„überrumpelt“. Das war Anfang der 80er-
Jahre. Seit rund zwölf Jahren lebt er in
Brixen. Er arbeitet als Ingenieur in Leifers.
Er pendelt jeden Tag mit dem Zug.
Seine Frau, eine italienischsprachige Südtirolerin,
hat er in Bologna kennengelernt.
Heute sagt er, es nie bereut zu haben,
hierher gekommen zu sein.
Das Wissen um Amirs Geschichte ist
wichtig, um zu verstehen, was ihn heute
antreibt. Er ist Mitbegründer und Koordinator
eines Migranten-Netzwerkes namens
„La Rete dei diritti dei senza voce“.
Im Internet hat Amir einen gleichnamigen
Blog eingerichtet. Dort steht: Wer nicht
versucht, sich jene Zukunft zu schaffen,
die er sich wünscht, muss sich mit jener
Zukunft begnügen, die sich anbietet.
Über dreißig Personen sind mittlerweile
Teil des Netzwerkes. Sie stammen
aus Marokko, Ecuador, Senegal, Albanien,
Pakistan – aber auch aus Südtirol.
Wohl zum ersten Mal setzen sich Ausländer
und Einheimische an einen Tisch
und reden über Integration und wie diese
funktionieren kann. Das Ziel: die Ausarbeitung
ein Landesgesetzes zur Integration.
„Die Einwanderer“, sagt Amir, „brauchen
eine gemeinsame Stimme.“ Zu viele
einzelne Vereinigungen gebe es derzeit im
Lande. Es sind knapp über 30; viele beschäftigen
sich allein mit ihrer eigenen
Nationalität. Amir sagt, das Netzwerk
wolle keine Barrieren aufbauen. Deshalb
seien auch viele Einheimische mit dabei.
„Wir wollen mitgestalten. Bisher wurden
wir leider nie wirklich angehört.“
Menschen, die wie Amir den Drang
verspüren, die Welt zu verbessern, nennt
man gerne abfällig „Gutmenschen“. Amir
& Co. aber geben sich keinen Illusionen
hin. Sie sagen, hier nicht naiven Lösungen
zu verfallen. Amir Sadeghi sagt:
„Wir kennen die Situation dieses Landes.
Wir wissen, dass es schwierig wird.“
Südtirol ist eine der wenigen Provinzen
Italiens mit keinem eigenen Integrationsgesetz.
Das Einwanderungsgesetz wurde
von Landesrätin Luisa Gnecchi in der
vergangenen Legislaturperiode gar nicht
erst zur Abstimmung gebracht, das Papier
liegt in der Schublade – und das Thema
damit auf Eis. Die Landesregierung zog
es vor, eine Reihe von einzelnen Maßnahmen
vor allem im Bereich Wohnbau
und Mietgeld zu erlassen. Immer wieder
erweckte man den Eindruck, Einwanderung
sei ein Sicherheitsproblem. Guido
Margheri sagt, anhand bestimmter politischer
und ideologischer Einstellungen
sei ein „künstlicher Notstand“ aufgebaut
worden. Mit der Realität habe das nichts
zu tun.
Der Bozner Gemeinderat der „Sinistra
Democratica“ arbeitet beim Migranten-
Netzwerk mit. Er sagt, die Politik denke
zu kurzfristig. Vor den Wahlen sei das
Thema Ausländer gut genug. Dann gerate
es wieder in Vergessenheit. „Hindernisse
aufbauen nützt niemandem. Dadurch erzeugt
man nur noch mehr Spannungen
in der Gesellschaft. Es ist wie eine Katze,
die sich in den Schwanz beißt.“ Den
jüngsten Beschluss der Landesregierung
hinsichtlich des Mietgeldes bezeichnet er
als „Rückschritt“. Danach werden künftig
nicht mehr 25,15 Prozent sondern 9,7
Prozent des Wohngeldes für Nicht-EUBürger
ausgegeben. Das Südtiroler Tagblatt
brachte die Nachricht unter dem Titel
„Mietgeld für Ali reduziert“.
Artan Mullaymeri sagt, der Beschluss
sei falsch. Es gehe nicht darum, welcher
Herkunft jemand sei sondern welchen
wahren Bedarf jemand habe. Artan ist ge-bürtiger Albaner. Er lebt seit über zehn
Jahren in Südtirol, arbeitet als Gewerkschafter
beim Einwandererdienst und ist
Präsident des Ausländergemeinderates in
Bozen. Auch er arbeitet beim Netzwerk
mit. Er sagt, die Politik habe die Pflicht,
Parallelgesellschaften zu verhindern. Den
Umgang der Politik mit dem Thema Integration
bezeichnet er als „kühl und unpersönlich“.
Artan sagt: „Es ist Zeit, dass
wir selbst ins Feld ziehen. Wir wollen einen
politischen Konsens finden.“
Vorschläge gibt es viele. Allein, sie
müssen noch ausgearbeitet – und teils
auch noch ausdiskutiert werden. So setzt
sich das Migranten-Netzwerk unter anderem
für die Errichtung einer Beobachtungsstelle
für Einwanderung ein, die unabhängig
von der Politik arbeiten soll.
Ebenso für die Anerkennung der Studientitel
und die Förderung und Stärkung
der sogenannten zweiten Generation,
sprich jener Generation von Ausländern,
zu dürfen, ist für viele Ausländer enttäuschend.
Ein demokratisches Land kann
die Menschen nicht aufteilen.“
Und was ist mit der Schule? Der Ausübung
der Religion? Der sanitären Versorgung?
Amir Sadeghi schüttelt den
Kopf. Vieles, sagt er, sei erst in Ausarbeitung.
Vieles wolle auch noch nicht verraten
werden, außer, dass man klare Ideen
habe. Ein Ausländer, sagt Amir, wisse,
was ihn erwarte, wenn er nach Europa
kommt. „Er kann sich anpassen.“
Mittlerweile hat eine Delegation des
Netzwerkes der zuständigen Landesrätin
einen Besuch abgestattet. Es ging um die
Eingliederung der Ausländer in Arbeitswelt
und Sozialgefüge. Barbara Repetto
sei sehr offen für ihre Anliegen gewesen,
werden die Netzwerkler später sagen. Sie
sind zuversichtlich. Guido Margheri zeigt
sich etwas skeptischer. Er sagt, man müsse
hoffen, dass den Worten auch Taten folgen.
Seit zehn Jahren spreche man über
ein organisches Einwanderungsgesetz
– und verfolge dabei stets eine Verteidigungsstrategie.
Einwanderung bedeutet immer zweierlei
– Gewinn und Last. Wer von Ausländern
spricht, spricht immer auch als
Mehrheit der Gesellschaft. Die Partei der
Mehrheit hat es verstanden, das Thema
bisher aufzuschieben. Die SVP-Gruppe
rund um Franz Pahl, die im vergangenen
Jahr noch ein „fundiertes Integrationskonzept“
forderte, hat sich in Luft
aufgelöst. Die SVP-Arbeitnehmer verabschiedeten
im vergangenen Jahr „Leitsätze“
darüber „wie Integration gelingen
kann“. Gearbeitet wurde auch im Sozialpartnerforum,
die Ergebnisse präsentierte
man der Partei. Allein, diese hat sich nicht
wirklich an das heiße Eisen gewagt. Rosmarie
Pamer sagt, man müsse aufpassen,
was man zu diesem Thema sagt. Die stellvertretende
Arbeitnehmerchefin selbst hat
keine Berührungsängste. Sie sagt, viele
Sozialausschüsse hätten auf Gemeindeebene
tolle Integrationsprojekte erarbeitet
– „die auch funktionieren“.
Amir ist zuversichtlich. Er ist es leid,
dass die Ausländer für den politischen
Diskurs instrumentalisiert werden. Er
sagt, es gehe um Verantwortung. „Wir
wollen den ersten Schritt machen.“ n
Alexandra Aschbacher
„ Die Politik denkt zu
kurzfristig. Sie baut
einen künstlichen
Notstand auf.“
Guido Margheri, Gemeinderat Bozen
die in Südtirol geboren ist, hier zweisprachig
aufwächst und vielleicht gar Dialekt
spricht. Rainer Girardi spricht von dieser
als einem „wertvollen Bindeglied“. Der
OEW-Bildungsreferent ist Teil des Netzwerkes.
Er sagt, beim Gesetz gehe es um
Solidarität, nicht um Bürgerwehren.
Einer der Knackpunkte des Migrantengesetzes
jedoch dürfte die Forderung
des Wahlrechtes für Ausländer bei Gemeinde-
und Landtagswahlen sein. Amir
sagt, für die wahre Integration sei dies ein
entscheidender Aspekt. „Nicht wählen
Ende 2008 waren 36.284 Ausländer in Südtirol ansässig, das entspricht einem Zuwachs
von zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung
machte zu Beginn 2008 6,7 Prozent aus, am Ende des Jahres waren es 7,3 Prozent
Südtiroler Realität: Ausländer in
Salurn
Foto: Oliver Oppitz
In Südtirol ansässige Ausländer 1990 – 2008
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